Flügelschlag (6)

Sich Gott gegenwärtig zu erhalten, das ist eine Kunst des Lebens. Es hieße sich ans Fürtreffliche, Erhabene zu halten. Wie lässt sich dies besser ermöglichen als durch folgende Worte zu Beginn: Mit dem Namen Allahs, des Gütigen, des Barmherzigen. 

Alles Gehörte und Gelesene kühl und nüchtern zu betrachten mag bestimmte Vorteile haben, doch es hat auch Nachteile. Alles begeistert und voll Enthusiasmus zu betrachten mag Vorteile haben, doch es hat auch Nachteile. Itidal ist Arabisch und bedeutet Gleichgewicht, die Mitte; dies ist das Wesen der Gottergebenheit.

Wir leben nun in einer Zeit, in der mehr als die absolute Mehrheit sich dagegen wehrt begeistert zu werden. Sich Begeisternde werden als naiv angesehen. Ist es nicht ein Verbrechen sich gegen schöne und beseelte Worte zu wehren statt sich erfüllt zu fühlen und die Missstände auszublenden? Was heißt ausblenden? Den Fokus auf etwas Anderes zu legen.

Die größte Verbundenheit fühlte ich mit Novalis, als dieser seinen Heinrich von Oefterdingen sagen lässt:

Keiner von uns hat je einen ähnlichen Menschen gesehn; doch weiß ich nicht, warum nur ich von seinen Reden so ergriffen worden bin; die Andern haben ja das Nämliche gehört, und Keinem ist so etwas begegnet.

Novalis: Heinrich von Oefterdingen

Novalis und Goethe, den Romantiker und den Klassiker, verbindet eine Sache: Ihre Ergriffenheit von Friedrich von Schiller. Als jemand sagte, Schiller sei langweilig, rief Goethe aus: „Ihr seid viel zu irdisch und armselig für ihn!“ Das ist Goethe. Novalis hätte ihm mit tönendem Beifall beigestanden. Sich für Schönes nicht begeistern zu lassen, das ist ein Verbrechen. Immer zu hinterfragen, wozu Etwas nützt, hemmt die Begeisterung. Immer unparteiisch sein zu wollen ebenso. Ich bin parteiisch – und das, wofür ich nach Maßgabe meines Herzens und Verstandes und befreit von meinem Egoismus Partei ergreife, dafür lasse ich mich begeistern.

Habt ihr Goethe nie gelesen, frage ich mich, Schiller, Yunus Emre, Rumi, Ghazali, Feriduddin Attar, Novalis, Hafis? Wenn, wieso seid ihr nicht begeistert, frage ich mich…

Es sind ja nicht die Augen, die blind sind, blind sind die Herzen in der Brust.

Koran, Sure (22/46)

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