Mit dem Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
„Mein Herr! Weite mir meine Brust und erleichtere mir meine Aufgabe und löse den Knoten meiner Zunge, damit sie meine Rede verstehen mögen.“
In einem Liebesgedicht schreibt Rainer Maria Rilke:
Nur manchmal, während wir so schmerzhaft reifen, daß wir an diesem beinah sterben, dann: formt sich aus allem, was wir nicht begreifen, ein Angesicht und sieht uns strahlend an.
Wir Menschen erachten Schicksalsschläge und Schwierigkeiten im Leben als etwas Störendes. Wir wünschen uns beständig Urlaub und verbringen einen Großteil unserer Zeit damit, uns nach urlaubischen Zuständen zu sehnen. Was nützen urlaubische Zustände? Warum lebe ich? Warum stehe ich morgens auf? Um wieder einen beruhigten Tag zu verleben? Einen Tag, der wie jeder andere war? Um einen Tag mehr auf meinem Konto zu haben und abends sagen zu können: Ich habe überlebt… nein! Ich lebe, um mich zu bilden!
„Mich selbst ganz wie ich da bin auszubilden, das war von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht.“ (Goethe: Lehrjahre)
Ich will mich bilden, bilden, bilden! Und wie das geht fragt ihr mich? Indem ich mich in die verschiedensten Situationen begebe. Der große Bildungsreformer Humboldt sagt:
„Ich liebe jetzt sehr neue Lagen. Der Grundsatz, dass man in vielen Lagen aller Art gewesen sein müsse, ist so fest in mir, dass mir jede, in der ich noch nicht war, schon darum angenehm ist.“
Wir fürchten neue Situationen. Wir wollen Sicherheit. Sicherheit um jeden Preis. Es gibt jedoch keine größere Illusion als die Sicherheit.
Schule, Ausbildung, Studium, Beruf. Heiraten. Kinder. Alt werden… was ist das für ein Leben, wenn währenddessen nichts geschieht, das diese Welt zu einem schöneren Ort macht? Das in erster Linie mein Herz erfüllt? Die meisten fühlen sich erfüllt, wenn sie regelmäßig Urlaub machen können… der Urlaub scheint die einzige Zeit zu sein, in der wir Menschen uns lebendig fühlen… was für ein klägliches und armseliges Leben! Das muss einfach mal als das bezeichnet werden, als das, was es ist: Menschenunwürdig! Wir wünschen uns so leben zu können, wie Tiere es beständig können: Faul, ausruhend, unbeweglich. Was ist das nur für eine Verschwendung des menschlichen Potenzial.
Wir müssen lernen uns als Teil des großen Ganzen zu begreifen. Welche Rolle erfülle ich in der Gesellschaft? Welchen Mehrwert hat mein Beruf für die Gesellschaft? Wenn ich bloß tun würde, wofür ich bezahlt werde und was andere von mir erwarten, würde ich niemals diesen Text schreiben, aber es tut mir weh zu sehen, wie Menschen sich selbst seelisch misshandeln, indem sie die Größe in sich nicht erkennen! Wir leben mit Jugendlichen, die nicht davon träumen die Welt zu verändern… eine Jugend, ohne den Traum mit Kreativität und Abenteuergeist die Welt zu erschüttern, ist durch und durch verschwendete Jugendenergie.
Was hält uns eben kreativ zu werden? Unsere angeblichen Verpflichtungen im Alltag, unser Smartphone, unsere Familie, Freunde und was nicht alles! Wir haben verlernt Zeit mit uns selbst zu verbringen. Wenn das Smartphone bei mir ist, bin ich nicht alleine, ich bin erreichbar. Nur dann, wenn ich nicht erreichbar bin, bin ich alleine. Das Smartphone ist einer der vielleicht größten Kreativitätskiller, die die Menschheitsgeschichte gesehen hat. Wir glauben, wir müssen „gut“ sein. Was heißt gut? Dass andere gut von mir denken? Menschen loben mich für Dinge, die ich nicht verdiene und sie tadeln mich für Dinge, die ich nie getan habe – und diesen Menschen soll ich gefallen? Ich tue das, was meinem Herzen wohlbekommt. Hier beziehe ich die Gesellschaft mit ein. Nichts, was der Gesellschaft schadet, kann mir wohlbekommen. Denn persönlichen Interessen zu frönen, die nicht gleichzeitig der Allgemeinheit dienen, deutet auf ein menschenunwürdiges Dasein hin. So leben die Menschen mehrheitlich und gleichzeitig palavern sie von Demokratie und Menschenrechten und was sonst noch –
Was ist mit dem Recht seine Natur zu veredeln? Der Kreativität freien Lauf zu lassen? Was ist mit dem Recht zu beten, wann ich es möchte und wo ich es möchte? Was ist mit dem Recht mich so kleiden zu können, wie ich es will und nicht so, wie andere Menschen es gerne sehen würden? Diese Dinge, die von der Norm abweichen schmerzen, wenn ich sie tue. Und genau deshalb sollte ich sie tun – denn alles, was schmerzt, bildet mich. Alles, was schmerzt, bedeutet, dass ich meine Komfortzone verlassen habe. Wer seine Komfortzone nicht verlässt, wird sein Leben niemals verändern –
Wir alle gehen durch Zeiten, die schmerzen. Doch diese Zeiten sind es, die uns prägen werden, mag der Schmerz auch noch so zehrend sein. Schmerzphasen sind Reifephasen. Reifen bedeutet seine Bestimmung als Mensch zu erfüllen. Wir müssen die Dinge nicht verstehen, lasst uns sie leben. Sicherheit ist eine Illusion. Noch einmal: Sicherheit ist eine Illusion. Wann hast du das letzte Mal etwas getan, was niemand von dir erwartet hat? Oder bist du jemand, dessen jeder Zug vorhersehbar ist… ja, die Handlungen der meisten sind vorhersehbar… das ist an sich nicht verwerflich, doch dann bitte: Hören wir doch auf zu jammern, dass alles beim alten bleibe… wer nie etwas Neues tut, darf halt auch mit keiner Veränderung rechnen…
Im zweiten Band seines Jahrtausendwerks sagt Schaikh Mewlana Rumi:
„Der Verstand hat viele Gesichter. …
Das traditionelle Wissen ist der Tod unserer Seelen. …
Es ist nötig, dass wir vergessen, was uns bisher beigebracht wurde und dass wir stattdessen unseren Kopf verlieren. …
Lasse schnellstmöglich das Profitable und Bequeme sein. Vertraue niemandem, der dir Komplimente macht. …
Vergiss Sicherheit. Lebe, wo du fürchtest zu leben. Zerstöre deinen Ruf. Sei berüchtigt. …
Ich habe lange Zeit damit verbracht vorsichtig zu planen. Von nun an werde ich ein Verrückter sein.“
Es ist an der Zeit den Mut zu entwickeln einen neuen Lebenslehrplan aufzustellen. Sage einem Menschen, dass du ihn oder sie liebst – woher sollen sie es denn wissen, die Menschen, wenn du es nicht aussprichst? – Aber du fürchtest dich eher davor, was die Gesellschaft denken könnte, wenn sie herausfindet, dass du dich verlieben kannst! Du verdienst Lob und Anerkennung! Wer liebt in einer Welt, die so von Intrigen und Hass und Abscheulichkeiten geprägt wird, der verdient, die größte Anerkennung!
Schreibe deine Gefühle auf, wie sie sind. Denke nicht: O Gott, was ist, wenn das jemand liest! Tue es. Was hindert dich? Wenn du dich nicht einmal traust deine Gefühle, deine geheimsten Sehnsüchte zu Papier zu bringen, aus Angst davor, dass sie irgendwer lesen könnte, dann erzähl mir doch nicht, dass du frei bist! Wann hast du das letzte Mal geweint?
Verdammt nochmal, zu leiden ist eine Kunst. Wir aber wollen das Leid meiden – wie schwach wir doch sind. Der echte Mensch, blickt dem Leiden ins Gesicht und sagt: Allah, mein Herr, Er ist größer und mächtiger als du. Du bist ein Nichts. Ich liebe dich, o Leiden! Denn du hilfst mir zu beweisen, dass ich Stärke besitze! Ohne dich gäbe es keinen Zeugen! Leiden, du, nun sei mein Zeuge! Ich bin ein Diener des Allmächtigen, Der mir dich sandte, um meinen unerschütterlichen Glauben an das Gute, die Liebe und die Schönheit unter Beweis zu stellen.
Beenden wir es mit einer Nachdichtung eines osmanischen Gedichtes, des großen Poeten Fuzuli:
Liebe ist nicht mehr als bloß Behauptung, Qualen zu ertragen ist ihr Zeuge; Wenn der Zeuge fehlt, fehlt der Beweis, So bleibt die Behauptung leerer Glaube.
Möge Allah teala uns kein leichteres Leben geben. Möge Er uns zu stärkeren Menschen machen, die sich und anderen helfen, Hoffnung spenden und inspirieren… (Amin)