Ein Klassiker als Soft-Porno

„Man sieht dir gar nicht an, dass du gestern durchgemacht hast“ – wer freut sich denn nicht, wenn er das hört. Dorian Gray hört es nicht bloß manchmal, sondern sein gesamtes Leben wird man ihm das nachsagen – er wünscht sich ewige Jugend und sein Wunsch geht in Erfüllung! Eine Neuverfilmung des Wilde-Romans The Picture of Dorian Gray konnten wir 2009 in den Kinos sehen.

Vom Regisseur Oliver Parker ist bekannt, dass er ein großer Fan des berühmt berüchtigten Oscar Wildes ist. Nach An ideal Husband und The importance of being Earnest handelt es sich bei The Picture of Dorian Gray um seine dritte Wilde-Verfilmung. 

Sein Vorhaben ist gewagt: Er möchte die Gesellschaftskritik an einer prüden und heuchlerischen Gesellschaft ins 21. Jahrhundert übertragen – wie soll ihm dieses Unterfangen gelingen? Heuchlerisch? Ja, das funktioniert, doch prüde? Dieses Wort ist doch schon längst eine der demütigendsten Beleidigungen auf den Schulhöfen.

Beeinflusst vom Lord Henry Wotton, der sich in die Schönheit des überaus attraktiven jungen Mannes zu verlieben scheint, gibt sich der Protagonist Dorian Gray einem Leben der sinnlichen Genüsse hin. Sex, Drogen und es fehlt nur noch Rock’n’Roll. Stattdessen gibt es: Theater. Nicht bloß ein Shakespeare-Stück wird aufgeführt, auch als Dorian Gray sich dafür entscheidet, die Frau, der er seine Liebe anfangs voller Aufrichtigkeit geschworen hat, zu verlassen, nachdem er sie benutzt hat, macht ihm Szenen. Die Tragödie nimmt ihren Anfang und mit ihr auch die Ausschweifungen eines jungen Mannes, der so unschuldig und makellos aussieht, dass ihm niemand die Laster, die ihm nachgesagt werden, zutraut. Denn – und das hebt die Geschichte vom Gemeinen ab – dort, wo sich die Konsequenzen an ihm bemerkbar machen sollten, tun sie es eben nicht. Stattdessen sind die Auswirkungen auf einem Porträt zu sehen, das sein Freund und Künstler Basil Hallward von Dorian Gray anfertigt. Unter dem Zauber der Worte, die von dem den Hedonismus preisenden Lord Henry Wotton ausgehen, wünschte sich der Jüngling, dass das Porträt statt seiner altern solle. Das tut es – und noch mehr! Nicht nur keine Falten, keine Augenringe, kein Haarausfall, auch Wunden und Verletzungen übertragen sich auf das Porträt. Es kommt noch interessanter: Der Zustand seiner Seele bildet sich auf dem Porträt ab. Seine mangelnde Moral, seine Grausamkeit – nichts davon wirkt sich auf ihn aus. Sein Lächeln und seine Gesichtszüge werden nicht von Erfahrungen und Exzessen geprägt. Er behält ein Leben lang den Charme, den er ausstrahlt, bei. Dieser macht ihm nicht nur junge Frauen geneigt, sondern auch deren Mütter – während die Tochter, die dachte, Dorian sei der Mann ihres Lebens, unter dem Bett liegend alles mithört. So ist es kein Wunder, dass niemand darüber spricht, was Dorian Gray so schrecklich macht, doch alle eben wissen, dass er es ist. Bloß Lord Henry Wotton hat Freude an den Ausschweifungen seines Zöglings – solange bis dieser sich beginnt für seine eigene Tochter zu interessieren.

Hier scheidet sich der Film von der Romanvorlage. Im Roman bleibt Lord Henry Wotton seinem Zynismus treu, im Film wird er Familienvater. 

Der Versuch des Regisseurs eine junge Generation anzusprechen scheitert kläglich. Er versucht es, indem er schocken möchte, doch was kann eine Generation schocken, die mit wenigen Klicks weit schockierendere Videos ansehen kann? Während der Originalautor, Oscar Wilde, mit omissiver Andeutung spielt und sein Genie gerade dadurch beweist, dass er die wilden Tage und Nächte Dorian Grays nicht benennt, wird im Film auf dieses Stilmittel verzichtet. Seinerzeit kam Oscar Wilde aufgrund der homosexuellen Anspielungen im Roman ins Zuchthaus – das Buch sei zu unmoralisch. Wilde äußerte sich in Briefen dazu, dass das Buch ihm zu moralisch sei – und wer kann es ihm verargen? Das Ende desjenigen, der sich einem solch unmoralischen Leben hingibt, scheint vorgezeichnet. Das Ende des Filmes ist vorauszusehen wie das Happy-End in einem Disney-Film. Dies wäre es nicht, wenn das Stilmittel Wildes ebenfalls beibehalten worden wäre. Durch das Auslassen der Frivolitäten, bliebe es der Fantasie des Zuschauers überlassen, welche Ausschweifungen er Dorian Gray unterstellt. Dadurch, dass sie nicht erwähnt werden, sind sie im Roman das Produkt des Zuschauers. Dies bedeutet, dass jeder ihm das unterstellt, was er selbst für unmoralisch befindet. Durch das Ausfüllen dieser bewussten Leere wird dem Werk als Film das Geheimnisvolle genommen und dadurch wirkt es zu moralisch wie Wilde selbst schon im Roman kritisierte. Er sagt in seinen Briefen, dass das Porträt ein Symbol für das Gewissen sei und dass das, was mit dem Porträt geschehe in Wirklichkeit mit dem Gewissen des Menschen geschehe.  Der Film gibt vor, was als unmoralisch anzusehen ist. Das Ergebnis: Der Zuschauer sieht sich mit einem Soft-Porno konfrontiert. Was dem Film ein wenig Glanz verleiht, sind die geistreichen Dialoge, die mit dem Roman übereinstimmen. Doch auch diese verlieren ihre Wirkung aufgrund der mangelnden Strahlkraft der Darsteller. Ben Barnes in der Rolle des Dorian Gray wirkt durchweg wie ein Teenager, der ein bisschen spielen darf. Einzig Colin Firth spielt überzeugend – wenn da nicht seine moralisierende Wendung wäre…

Alles in allem ist die Fragestellung in unserer überaus oberflächlichen Zeit, die Genuss und Glück für Synonyme hält und körperliche Aktivitäten als Liebe bezeichnet, eine sehr interessante, die es verdient behandelt zu werden und sich deshalb lohnt zumindest einmal anzusehen. Wenn dies dazu verleitet den weit genialeren Roman zu lesen, so hat Oliver Parker, uns doch einen großen Gefallen getan.

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