Tagebuch: Goethe, Schlegel und die islamische Theologie

Liebes Tagebuch,

ich bin müde. Jetzt, wo es an vielen Orten besser zu gehen scheint, bin ich sehr sehr müde. Rassismus wird offen benannt, Religionsfeindlichkeit wird öffentlich mehr und mehr angesprochen. Die Menschen werden zu mehr und mehr Sensibilität aufgefordert und es scheint in eine gute Richtung zu gehen, neben den geistigen Abirrungen anderer, die, nur weil jemand nicht zur eigenen „Rasse“ oder zum eigenen „Glauben“ gehöre, andere ablehnen und Gewalt ausüben. 

Wie viel habe ich nicht den deutschen Dichtern zu verdanken?! Goethe und Schiller erst öffneten mir das Tor zur Lektüre muslimischer Dichter – vor allem Goethe! Nun heute aber gedenke ich Schlegels: ich lese ein Gedicht Schlegels, eines Mannes, der durch und durch christlich war, aber sehe in ihm das, was ich selbst glaube. Sein Gedicht:

Fern von Eitelkeit und innerm Trug,
Nahe dich mit Andacht jedem Buch,
Wo des Herzens stille Wahrheitskraft
Neu die Welt der Liebe sich erschafft.
Betend wie am Altar Gottes Licht,
So vernimm das heilige Gedicht,
Wo des Lebens schmerzlich schönes Spiel
Dich zurücksenkt in das ewige Gefühl.
Nur der Sehnsucht fließt der Schönheit Quell,
Nur der Demut scheint die Wahrheit hell.

Beim Lesen dieses Gedichts scheint es mir, als lese ich in den Worten eines Bruders im Geiste! Ich stehe Herrn Schlegel sehr kritisch gegenüber, weil er, wie Heine uns übermittelt, zur engstirnigen Nationalisierung beigetragen habe. Dies berichtet uns Heinrich Heine in seiner „Romantischen Schule“, doch jenes Gedicht, ist vom Inhalt her pures Gold, ja es ist mehr als Gold! Es ist materiell nicht bezahlbar, weil es uns zu den Wahrheiten der Seele und des Herzens führt. Herr Schlegel scheint selbst nicht verstanden zu haben, was er hier dichtet. Ansonsten wüsste er, dass Wahrheit und Schönheit denen dienen, die sich ihnen ergeben – ungeachtet der Nation.

Mit Andacht einem Buch nähern… auch Prof. Dr. Fuat Sezgin sagte das. Er sagte, dass das Lesen eines Buches Gottesdienst sei. Ja, und es ist! Die Liebe im Herzen erschafft eine neue Welt! Die Liebe im Herzen ernährt sich von Sehnsucht. Deshalb ist sie etwas Schönes und nur der Demütige kann die Wahrheit sehen…

Das bedeutet Islam für mich. Das lerne ich hier aus den Worten Friedrich Schlegels. So etwas sollte in der Moschee unterrichtet werden, denke ich mir. Neben den unmittelbar theologischen Themen sollte auch Landeskultur unterrichtet werden. Abu Hanife und auch Imam Schafii, möge Allah ihren Seelen barmherzig sein, sagten, dass die Kenntnis der jeweiligen Kultur und Tradition des Landes notwendig seien, um eine Fetwa aussprechen zu können. Obwohl dies so ist, ist Landeskultur nicht Teil des Theologiestudiums. Dies muss sich ändern, um einen Islam beheimatet in Deutschland stiften zu können. Mit keinem Geistesleben wie dem der Deutschen fühle ich mich so verwandt. Während nach 1798 der Geist der Türken korrumpierte, stifteten die Klassiker und Frühromantiker Werke, die unglaublich schön sind und kritisierten die Aufklärung und ihre Auswüchse, die sie vorausahnten. Doch dann verloren sich ein Jahrhundert später auch sie… ich sehe mehr Islam bis zu Nietzsche und Rilke in den Werken schöngeistiger Literatur Deutschlands als woanders zu dieser Zeit… nehmen wir noch einmal Schlegel. Er spricht am Ende von Kirche. Ja, als ob mich das stören würde! Wie sagte Angela Merkel einst: Es täte der Bevölkerung gut, zu wissen, was hinter Ostern und Weihnachten steckt. Wir leben im Zeitalter der Besinnung. Im Zeitalter des Erwachens. Zu Schlegels Gedicht:

Geistlich wird umsonst genannt,
Wer nicht Geistes Licht erkannt;
Wissen ist des Glaubens Stern,
Andacht alles Wissens Kern.
Lehr' und lerne Wissenschaft,
Fehlt dir des Gefühles Kraft
Und des Herzens frommer Sinn,
Fällt es bald zum Staube hin.
Schöner doch wird nichts gesehn,
Als wenn die beisammen gehn:
Hoher Weisheit Sonnenlicht
Und der Kirche stille Pflicht.

Und der Kirche stille Pflicht… ja, was ist gemeint? Muss ich Christ werden, um Deutscher zu sein? Nein. Ich diene dem Göttlichem. Denn der Sinn zum Göttlichen steckt in meinem Herzen. Ich diene Ihm in einer Moschee. Wer möchte, soll Ihm in einer Synagoge dienen. Wer will, soll es anders bezeichnen, kann es als Schönes, Wahres und Gutes, als Universum bezeichnen

 Nenn’ es dann wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
(Goethe: Faust I)

Dem Schönen dienen. Weisheit und Schönheit – Hand in Hand. Aber wir wollen nicht zu abstrakt werden. Wissenschaft und Glaube. Ausgesöhnt. Das war muslimische Sitte. Jetzt soll sie in Deutschland wiederbelebt werden. Muslimische Romantik. Das ist ein Gebot der Zeit. 

Wissen ist des Glaubens Stern, sagt Schlegel und sagt Allah im Koran etwas anderes? „Sind solche die Wissen besitzen, denen gleich, die es nicht besitzen.“ (39/9) Außerdem sagt der Allwissende, der jeden Wissenden liebt: „Nur die Wissenden unter Seinen Dienern achten Allah (das Göttliche).“ (35/28) Es ist eben Achtung, oftmals mit Furcht übersetzt, die der Ausdruck wahrer Erkenntnis ist. Wissen erzeugt Achtung. Wo sie es nicht tut, handelt es sich um keine Erkenntnis, sondern um Informationsanhäufung… Andacht ist der Kern des Wissens, wie Schlegel sagt. Muslime sagen dazu Zikr. Die Erinnerung an das Wahre, Schöne und Gute. Wo diese Erinnerung verlorengeht, verkommt das vermeintliche Wissen zu einem Mittel der Unterdrückung und Tyrannei. Wo die Erinnerung an das Wahre, Gute und Schöne lebendig ist, dort wird das Wissen zu einem Mittel, den Menschen zu dienen. Wer dem Schönen dient, der dient den Menschen. Wer seinem persönlichen Interesse dient, der missbraucht die Menschen. 

Nun denn… auf bald mein liebes Tagebuch… du nimmst mir meine Müdigkeit!

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