Freitagsflügel – 17.04.2020

Mit dem Namen, Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!

„Mein Herr! Weite mir meine Brust und erleichtere mir meine Aufgabe und löse den Knoten meiner Zunge, damit sie meine Rede verstehen mögen.“

In Sure Yusuf, 12/53, sagt Allah teala: 

„Ich spreche mich nicht selbst frei. Die Seele gebietet fürwahr mit Nachdruck das Böse.“

Ein wundervolles Beispiel dafür, dass es ohne Arabisch, Türkisch oder Persisch zu können kaum geht, die islamische Lehre begreifen zu können. Hier steht „Seele“ in der Übersetzung. Ist die Seele nicht das Göttliche in uns Menschen, wie kann sie etwas Böses gebieten? Im Arabischen steht: „Nafs Emmare“. Die Ulema kamen darin überein, dass dies die unterste Stufe des Nafs darstellt. Goethe würde sagen: Ein nicht ausgebildeter Geschmack gebietet fürwahr das Hässliche, oder in den Reimen des Dichterfürsten:

Lass dich die Lehren nicht verdrießen,

Sie hindern dich nicht am Genuss,

Sie lehren dich, wie man geniessen

Und Wollust würdig fühlen muss.

Das niedere Selbst gebietet das Böse. Wie sagt unser Novalis: „Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein.“ Nichts anderes ist die Aufgabe, die Muhammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, seinen Gefährten und allen anderen Muslimen auftrug: Entwickle dein niederes Selbst hin zu einem würdigen und anmutigen Selbst. Würde, Anmut: Schillers Worte. Weil zu wenige Muslime Schiller lasen und verstanden, haben sie die Gemeinsamkeit nicht erkannt. Weil zu wenige nichtmuslimische Deutsche zwar Schiller kannten, aber unbekannt mit der islamischen Lehre sind, haben sie die Gemeinsamkeit nicht erkannt. Sogar im Gegenteil: Im Abendland ging man davon aus, dass die Philosophie untergegangen sei. Eine der irrigsten Annahmen in der Wissenschaftsgeschichte. Novalis wurde als Romantiker abgetan – weil ihn niemand verstand. „Es hört doch jeder nur, was er versteht“, sagt Goethe, der sein Genie indessen erkannte. Novalis sprach aus, was die osmanischen Dichter und Denker getan haben – das, was Mawlana Rumi, möge sein Geheimnis geheiligt sein, sie lehrte. Rumi, der Flüchtling, der Zuflucht bei den Türken fand. Novalis beschreibt es, was sie getan haben: „Wir (das Abendland) träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. — Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.“

Während das Abendland davon träumte und es letztlich in die Tat umsetzte in Weltall zu reisen, beschritten die osmanischen Dichter und Denker einen anderen Weg: Sie traten den Weg ins Innere an. Wie kann der Mensch sich seines transzendentalen Selbst bemächtigen? Das ist die Frage, die auch sie sich stellten und mit dem Geheimwissen der muslimischen Sufis fanden sie es heraus. Sie erkannten, dass die Triebseele, wie es von manchen übersetzt wird, Niederträchtiges befiehlt und dass es nicht ohne weiteres möglich ist, sich von ihr zu befreien. Ein Muslim, der auf der Stufe des Nafs Emmare (Triebsele) stirbt, so die Evliya, wird bevor er in die Gärten von Eden eintreten kann, die Höllenschluchten zu sehen und fühlen bekommen… Vier Stufen: 

  1. Nafs Emmare,
  2. Nafs Levvame,
  3. Nafs Mulhime,
  4. Nafs Mutmain.

Alles Begriffe, die im Quran vom Schönen und Liebenden genannt werden. Mindestens auf der Stufe des Nafs Levvame müssen wir uns befinden, um die Chance zu haben, ohne das Höllenfeuer zu sehen ins Paradies einzugehen. Während Europa eifrig damit beschäftigt war, die von den Muslimen geschriebenen Bücher über die Wissenschaften zu lesen, waren die Osmanen damit beschäftigt die Reise ins Innere anzutreten. Einer davon war Eschrefolu Rumi, möge Allah sein Geheimnis heiligen. Ein Schüler des Haci Bayram Veli, der in Ankara begraben liegt. Ein Mitschüler des anmutigen Akschemseddin, dem Lehrmeister des Fatih Sultan Mehmed, möge Allah ihren Seelen gnädig sein. Der würdevolle Eschrefolu Rumi schrieb das Buch „Müzekkin Nufus“, die Läuterung der Selbst. 

Wie ist es möglich sein Nafs  läuternd zu entwickeln? Zum Beispiel durch regelmäßiges Fasten. Durch weniger Schlaf. Durch weniger Konsum. Das Fasten schwächt das niedere Selbst ab. Es wird durch körperlichen Konsum gestärkt und durch sinnliche Blicke. Im ersten Band des Masnevis des würdevollen Mawlana Rumis, geht es eben darum. Ein paar Zitate:

„Den ganzen Tag bleibt der Seele vor lauter Fantasien, Gedanken an Verlust und Gewinn und Angst vor Niedergang, Keine Freude, keine Gnade und Ehre und kein Weg zum Himmel.“ – 

„Solange das körperliche Ohr nicht taub wird, bleibt das innere Ohr taub.“ (Band 1, V 567)

„Solange du von den Sinnen berauscht bist, bist du weit von jenem Rausch entfernt.“ (Band 1, V 576)

Wer seinen Körper berauscht, misshandelt seine Seele und sein Herz. Wer seine Seele und sein Herz berauscht, der wird seinem Körper den Anteil geben, der ihm gebührend zusteht. „Wer eine Sünde bereut, ist wie jemand, der nie gesündigt hat.“ (bei Ibn Mace überliefert) Wer Fehltritte, die Entwicklung verhinderten, bereut, ist auf dem geraden Weg sich weiter zu entwickeln. 

Wie drückt sich ein entwickeltes Nafs, das Reife erlangte, aus? Edep. Edep. Edep. Yunus Emre sagte deshalb: „Das Wissen ist ein Nichts: Unbedingt Edep, unbedingt Edep!“ Edep bedeutet Achtsamkeit, Tugend, Sitte. Edep bedeutet gewahr zu werden, das alle anderen Geschöpfe auch Gefühle haben. Edep bedeutet den Schönen und den Gesandten des Schönen, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, mehr zu lieben als sich. „Das Anzeichen des Heuchlers ist es, dass er im Streit beleidigend wird.“ (bei Bukhari überliefert)

Die Intellektuellen dieser Welt. Sie halten sich für was Besseres. Und deshalb ging Imam al-Ghazali so streng mit ihnen ins Gericht. Der von allen hochgepriesene Rumi ebenfalls. Er mokiert sich in seinem Masnevi an vielen Stellen über sie. Rumi sagt in seinem unsterblichen Masnevi: „Dein Nafs ist ein Sophist, es hört nicht auf Argumente, du musst es schlagen, ihm wehtun (indem du ihm gewisse Dinge vorenthältst) damit es zur Besinnung kommt.“ 

Das Fasten, das nun beginnt, wird ein schwerer Schlag für den Sophisten in uns sein. Verpassen wir ihm eine ordentliche Abreibung, indem wie nicht bloß körperlich fasten, sondern auch aktiv Schönes konsumieren! Lasst uns vermehrt den Quran lesen! Die Bedeutung der Stellen, wie wir im Gebet rezitieren, herausfinden. Hadithe und ihre Erklärungen lesen! Und vor allem über das Gelesene nachdenken und es in Ideen verwandeln und diese Ideen in die Tat umsetzen. Lasst uns jeden Tag Allah, den Majestätischen, um Vergebung bitten. Das ist die gute Tat, die uns auf die Stufe des Nafs Levvame erhebt. Levvame bedeutet: Das sich selbst tadelnde Selbst. Wer sich selbst nicht tadelt, wem als erstes immer Missstände der Gesellschaft und Schwächen anderer einfallen, der ist auf der Stufe des Nafs Emmare… möge Allah teala davor bewahren, denn sein Weg, so die Ulema, geht Richtung Hölle… das meint Mawlana Rumi in seinem unsterblichen Masnevi, wenn er sagt: „Der Achtlose schadet nicht nur sich, er setzt die ganze Welt in Flammen.“ Und da dem Menschen nur das zusteht, was er sät und diese Welt das Saatfeld für das Jenseits ist, wird ihm nur das zustehen, was er säte… die Flammenschluchten… möge Allah teala uns allesamt, jeden einzelnen von uns und unserer Liebsten und Nächsten und auch alle die uns verabscheuen und uns Böses wollen, davor bewahren… 

Möge Allah jene lieben,

Die mir Böses wolln und mich verabscheu’n

Möge Er sie schützen vor solch Hieben,

Die sie daran hindern zu bereu’n.

Wen Allah liebt und auserwählt,

Den lässt er übrigen Geschöpfen dienen

Wer sich nicht für die Menschheit quält

Versteht die Weisheit nicht der Bienen.

Die Qual wird süß wie süßer Kürbis

Wenn Allah dir vom Geist einhaucht

Auch ein lang bestehendes Zerwürfnis,

Es heilt, wenn einer nur nicht faucht.

Wer mich als Feind ansieht, soll lange leben,

Dem sollen alle Pforten offen stehen,

Der möge nach dem Besten streben,

Allah! Bitte, Du gewähre ihm das Flehen…

(Amin)

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